22 April 2010

Das Leben eines angehenden Forschers ist vollgepackt mit interessanten Taetigkeiten. Neben dem Produzieren von heisser Luft, darf einer auch ab und zu an zumeist externen Veranstlatungen teilnehmen. Hierzu zaehlen Workshops, Praesentationen und, im grossen Rahmen, Konferenzen. Natuerlich gibt es viele weitere Arten solcher Veranstaltungen. Am Dienstag bin auch ich nun auf meine erste Quasi-Konferenz aufgebrochen.

Die London School of Economics and Political Science, genauer die Information Systems and Innovation Group, veranstaltet einen Workshop mit dem Titel "Social Studies of Information and Communication Technology". Zusammen mit einem von Studenten organisierten Wissensaustausch-Workshop waren insgesamt drei Tage dafuer vorgesehen. Vergangenen Dienstag bin ich also mit dem Zug in Richtung Sueden aufgebrochen. Gluecklicherweise wurde in dem Zug ein freier Zugang zum Internet angeboten. Ungluecklicherweise empfing ich waehrend der Zugfahrt die Nachricht, dass die gesamte Veranstaltung aufgrund der Flugverbote und der damit verbundenen Abstinenz der Hauptredner in den Juni hinein verschoben werden muss.

Noch waehrend der Reise holte ich das OK meiner Forschungsleiterin ein, dass ich dennoch in London bleiben darf. Schliesslich waren die Uebernachtungen und sonstiges schon gebucht.

Hier bin ich nun, gestrandet in London. Was macht man also als erstes als Gestrandeter? Erkunden natuerlich! :) Nachdem ich in der Jugendherberge (warum heisst das eigentlich heutzutage noch JUGENDherberge, wenn die meisten lange nicht mehr jugendlich sind???) eingecheckt habe, bin ich raus und habe mir die Stadt angeschaut. Da ich nicht zum ersten Mal in London bin, wusste ich in etwa was ich sehen wollte.




Big Ben und Buckingham Palace schienen mir genug zu sein fuer den Dienstag-Nachmittag. Gesagt, getan. Waehrend meines Spaziergangs entlang der Themse fiel mir wieder auf, wie schoen London wirklich ist. Es ist nicht nur eine moderne und reiche Stadt, sondern auch ein alter und architektonisch anschaulicher Ort. Das Highlight war aber mein Besuch des Piccadilly Circus.



Ich weiss nicht warum, aber ich liebe diesen Platz. Die riesige Reklametafel hat eine ungeheure Anziehungskraft auf mich. Nach unzaehligen Fotos ging ich zurueck in die ERWACHSENENherberge. Ich teilte das 6-Bettenzimmer zum Beispiel mit David. Geboren in Nigeria, aufgewachsen in Grossbritannien, studiert David das hiesige Gesetz. Wir hatten eine interessante Diskussion u.a. ueber russische Milliardaere. Er hat ein paar Tage in der Herberge verbracht, nachdem er seine Einzelwohnung nicht mehr leisten konnte (1000 Pfund / 1200 Euro pro Monat, ausserhalb Londons, Wahhhhhhnsinn).

Meinen zweiten Tage habe ich damit verbracht einen Ort zu finden, an dem ich bequem arbeiten und auf das Internet zugreifen konnte. Dank meiner Forschungsleiterin Hazel wusste ich, dass die British Library (DIE Britische Bibliothek Nummer 1) ein guter Anfang waere.




Die BL ist eine strikt geregelte Institution. Ich registrierte mich als Leser (mit Foto-Ausweis) und begab mich in die kontrollierten Leserbereiche. Dort darf man nur hinein, wenn man die Einschraenkungen beruecksichtigt. So darf man weder Jacken, Taschen, Stifte (ausser Bleistift), Nahrung noch Trinken in diese Bereich nehmen. Man darf sogar keine feuchten Haende haben!!! Immerhin darf man den Laptop mitnehmen. Da war ich also. Mit einer Plastiktasche, befuellt mit Laptop und sonstigem erlaubten Kram, lief ich durch die Gaenge und suchte nach einem freien Schreibtisch. Alles war voll! Einen Platz konnte ich doch noch ergattern. Aber ich fand schnell heraus, warum dieser unbesetzt war. Die Steckdose funktionierte nicht. Entmutigt ging ich wieder in den oeffentlichen Bereich, wo ich schliesslich einen guten Platz im Cafe-Bereich zum Arbeiten finden konnte.

Der dritte und heutige Tag fuehrte mich an die UCL, University College London. Diese ist Teil der University of London, welche in 19 unabhaengige, sogenannte Colleges aufgeteilt ist und insgesamt rund 170.000 Studenten beherbergt!




Wieder mal verhalf mir Hazel zu diesem Umstand. Ein ihr bekannter Kollege half mir aus und gewaehrte mir Asyl. Es sei erwaehnt, dass die UCL im letzten Jahr von "The Times Higher World University Rankings" als viertbeste Universitaet der Welt bezeichnet wurde (Harvard, Cambridge und Yale auf den ersten drei Plaetzen). So verbrachte ich den heutigen Tag in einem Studienraum an der UCL, einem Ort der zahlreiche Nobelpreistraeger und Staatsfuehrer hervorgebracht hat und bringen wird. Doch auch hier wird lediglich mit Wasser gekocht. Auch die Toiletten riechen wie Toiletten. Lediglich die Gaenge sind hoeher und groesser als sonst. Sehr interessant und sehenswert ist aber auch folgender Fakt: Jeremy Bentham, der grosse und reiche Stifter, theoretischer Vater des Panoptikums, der die Uni finanziell in den Olymp befoerderte, gewaehrte seinen Reichtum unter der Bedingung, dass seine sterblichen Ueberreste in der Uni ausgestellt werden. So kann man tatsaechlich in einer Kabine eine Figur sitzend beobachten, die seine Kleidung und darunter verborgen sein Skelett traegt. Der Kopf wurde uebrigens entfernt und gut verwahrt nachdem es des oefteren Opfer von Studentenstreichen geworden ist. Als weiteren Grund kann man auffuehren, dass der gute Mann seit 178 Jahren tot ist! Da schaut ein Kopf auch schon mal etwas unappetitlich aus!

So bleiben mir noch zwei Tage. Morgen plane ich wieder an die UCL zurueckzukehren und meine Arbeit fortzusetzen. Heute habe ich zusaetzlich eine mail an einen Professor geschickt, der meiner Meinung nach mein Forschungsinteresse teilt. Dieser hat tatsaechlich in kurzer Zeit geantwortet und mich an einen Kollegen verwiesen, der mir eher weiterhelfen koennte. Und nachdem ich auch diesen angeschrieben habe, hatte ich bald darauf einen Termin am naechsten Tag. So treffe ich morgen einen UCL-Mitarbeiter und unterhalte ich formlos mit ihm fuer rund 30 Minuten ueber unser gemeinsames Forschungsgebiet, wobei wir von verschiedenen Richtungen darauf schauen. Natuerlich hat er weit mehr Erfahrung als ich darueber. Schauen wir, was dabei herauskommt. Vielleicht nichts, vielleicht aber auch auf dem man aufbauen kann.

Am Samstag geht es wieder zurueck, aber nicht ohne dass ich die einzige Person treffe, die ich in London kenne. Dominik, ein alter Daimler-Kollege aus Ulmer Zeiten macht seinen PhD in London. Nachdem wir uns zuletzt bei einem Kaffee in Ulm unterhalten haben, treffen wir uns nun in seiner Stadt auf ein Mittagessen.

Damit war es das aus der britischen Hauptstadt!

Keine Kommentare: