26 Juli 2012

Über Rassimus und das Auslandsstudium als Chance, sich erst zu finden und dann neu zu erfinden

Kürzlich hatte ich eine unangenehme und traurige Erfahrung gemacht mit Rassismus in Deutschland, die mich sehr bewegt und beschäftigt hat. Das hat mich bewogen diesen Beitrag zu verfassen, in dem ich die Erfahrung beschreibe, ueber Rassismus diskutiere und einen Vorschlag für Studenten mache, wie man Rassismus vermeiden kann.

Ich wurde angeschrieben von einer Studentin aus Deutschland, die um Hilfe bei der Wohnungssuche in Edinburgh gebeten hat. Wir haben uns mehrfach ausgetauscht, über facebook befreundet und ich habe den Kontakt zu einem anderen Studenten in der gleichen Situation vermittelt. Danach war Funkstille.

Wenige Wochen später und kurz nach dem Fußball EM-Finale 2012 Spanien gegen Italien entdeckte ich eine Konversation der Studentin auf facebook. Ohne auf den genauen Inhalt einzugehen (ein Screenshot der gesamten Diskussion ist am Ende des Eintrags zu finden, unterhalb dieser Passage ist die Status-Meldung gepostet, der die Diskussion startete), fasse ich die Aussagen zusammen. In dieser Konversation wurde über das Finalspiel und konkret Mario Balotelli (italienischer Nationalspieler dessen Eltern ursprünglich aus Ghana emigriert sind) diskutiert. Bei dieser Konversation fielen jedoch die Worte "Banane", "Gorilla" und "Zoo". Dies sind altbekannte rassistische Bilder, auf Grundlage derer auch bei anderen Spielen mit Balotelli als Teilnehmer Bananen aufs Spielfeld geworfen wurden.



Ich entschloss mich, in die Diskussion einzusteigen und kurz aber deutlich zu sagen, dass die Wortwahl überhaupt nicht in Ordnung war (das war schließlich eindeutig Rassismus). Was folgte war ein Wortwechsel zwischen ihr, ihrer Freundin und mir. Es kamen Rechtfertigungsversuche (in etwa: Mario Balotelli habe sich in einem Interview selber als "Tier" bezeichnet) und Beschuldigungen, dass ich überempfindlich sei. Am Ende wurde ich mit dem Schlusssatz "Get a life" abserviert.

In Anbetracht des Gesprächsverlaufs und dem mangelnden Bewusstsein für die Problematik auf Seite der Studentin und ihrer Freundin war ich schwer entgeistert, total baff und fühlte mich machtlos. Zum Zeitpunkt des Wortwechsels befand ich mich auf einem mehrtägigen Workshop in Stirling. Ich habe mehreren anderen Teilnehmern von dem Gespräch berichtet und sie um ihre Meinung gefragt. Ohne Ausnahme haben mir alle bestätigt, dass ich nicht übertreibe und dass diese Kommentare einfach nicht in Ordnung waren.

Eine meiner nächsten Reaktionen war dann mehr über das Thema Rassismus zu recherchieren, weil mir klar wurde, dass ich selber nicht viel zu dem Thema wusste. Ich fasse meine Erkenntnisse, die ich zu großen Teile dieser Quelle entnommen habe, im Folgenden zusammen. Rassismus ist eine Ideologie, deren harter Kern aus der Behauptung einer Ungleichheit besteht. Anders gesagt, Rassismus ist eine Sammlung an Ideen und Vorstellungen, dass es Menschen gibt die anders sind als man selbst. Eine rassistisch geprägte Denkweise äußert sich dadurch, dass man Menschen entweder nach realen körperlichen Merkmalen (z.B. Hautfarbe oder Gesichtszüge) oder zugeschriebenen Merkmalen (z.B. vermeintlicher Mentalität wie z.B. der temperamentvolle Südländer) unterscheidet. Ein Aspekt fehlt aber noch, bis es wirklich zu dem kommt, was man als Rassismus bezeichnet. Die Zeilen zuvor erklären etwas, das im Kopf passiert. Was fehlt ist nun eine >> Handlung <<, die dieses Denken zu Rassismus werden lässt (und es als solches von anderen beobachtet und als Rassismus erkannt werden kann). Diese Handlung hat als Konsequenz die Ausgrenzung eines Menschen oder einer Gruppe von Menschen von anderen. Im Falle der Studentin und ihrer Freunde war die Handlung u.a. die Verwendung der Worte "Banane", "Gorilla" und "Zoo". Diese Begriffe sind klar mit der Hautfarbe von Mario Balotelli verknüpft. Ich bezweifle, dass eine ähnliche Diskussion über die Leistungen eines Bastian Schweinsteiger Aussagen über seine Hautfarbe zustande gebracht hätten. Dadurch also, dass das Gespräch beiläufig die Hautfarbe und somit die Ungleichheit von Mario Balotelli zu ihr und ihren Freunden thematisierte, kann den Leuten Rassismus unterstellt werden.

Aber eigentlich brachte mich diese Erkenntnis nicht weiter. Ich kann jetzt zwar mit Argumenten besser begründen, dass die Kommentare rassistisch waren, aber dadurch wird die Welt auch nicht besser. Danach war ich motiviert herauszufinden, wie man die Welt tatsächlich besser machen könnte. Klar war mir zu dem Zeitpunkt, dass das Kategorisieren von Personen nach äußerlichen oder vermeintlichen Merkmalen nicht hilfreich ist und sogar zu unschönen (z.B. rassistischen) Aktionen führen kann. Was also ist das Gegenteil von Kategorisieren? Nicht-Kategorisieren! Einfach ausgedrückt: keine Meinung zu haben und auf Kategorisierung zu verzichten. Dadurch umgeht man eine Gefahr, die bei Kategorisierung ganz hoch ist und zwar das Assoziieren, also das Verknüpfen von einer Beobachtung mit einer in der Vergangenheit gemachten Erfahrung oder mit vermeintlich bestehendem Wissen. Kürzlich habe ich einen Satz gelesen, der meine ganzen vorherigen Überlegungen gut zusammenfasst. Er geht in etwa so:
Wenn jemanden eine Person kategorisiert (z.B. eine Person X sagt: „dieser Mann ist schwarz“), dann sagt es weniger etwas über die kategorisierte Person (also über den vermeintlich „schwarzen“ Mann) aus. Viel mehr aber gibt die kategorisierende Person über sich selbst Auskunft (für diese Person X ist es scheinbar wichtige Menschen nach ihrer Hautfarbe bzw. Rasse zu unterscheiden). 

Wir kommen aber nicht drum herum Personen, Dinge, Beobachtungen, Erlebnisse, Emotionen zu kategorisieren. Es ist sogar wichtig, dass wir Kategorisieren und Entscheidungen treffen basierend auf Kategorisierung: z.B. das Essen ist gesund, ungesund, giftig und so weiter. Wichtig ist es aber „gute“ Kategorien zu verwenden. Was aber „gute“ Kategorien sind, das ist schwer zu sagen, hängen sie eben von lokalen (z.B. wo lebe ich, wo bin ich aufgewachsen) und zeitlichen Faktoren (z.B. was ist heute „in“ und was „out“) ab. Was hier oder heute „gut“ ist, kann dort oder morgen „schlecht“ sein. Um das näher zu ergründen, müsste man in ein Kapitel zum Thema „Werte“ schreiben, was ich hier aber nicht mache. Stattdessen möchte ich lieber zum baldigen Ende kommen und zwar mit einem Vorschlag bzw. Ratschlag für Studenten die ins Ausland gehen, wie sie die Falle der Kategorisierung umgehen können (dies ist aber anwendbar für jedermann im Alltag).

Im Ausland ist vieles anders. Die Menschen, die Umgebung, die Gewohnheiten, die Gepflogenheiten, die Erwartungen und vieles mehr. Was nicht gut ist, weil es Vorurteile generiert, ist das Vergleichen mit dem was man kennt. In Edinburgh z.B. ist vieles anders. Doppelverglaste Fenster sind nicht unbedingt der Standard hier, genauso wenig wie Zentralheizung. Auch kann man hier andersartige Sitten beobachten. An einem kalten Freitagabend im Winter laufen die Damen abends trotzdem in kurzen Röcken, mit nackten Beinen und Stöckelschuhen oder gleich barfüßig durch die Gegend. Wenn man das alles mit Erfahrungswerten aus Deutschland vergleicht, dann ist das nicht normal, ja, das ist ganz anders. Warum ist Deutschland eigentlich das Maß aller unserer Vergleiche? Warum nimmt man Deutschland als Ausgangspunkt eines Vergleichs? Einfach, weil nichts anderes bekannt ist. Und das ist schmalspurig.

Vor meiner Ausreise aus Deutschland nach Schottland hat mir ein Freund gesagt, dass ich mich neu erfinden könnte im Ausland. Er lag damit falsch. Im Ausland habe ich mich nämlich selber überhaupt erst finden können. Erst wann man raus kommt aus seinem Land, lernt man sein eigenes Land richtig kennen. Diese Aussenperspektive ist es, die einem die Augen aufmacht und das sehen lässt, was man zuvor glaubte zu kennen. Das klappt aber nur, wenn man lernt auf Kategorisieren und gleichzeitiges Verurteilen zu verzichten, und zwar da wo man es nicht braucht. Es ist zum Beispiel egal welche Hautfarbe oder welche Gesichtszüge man hat oder ob man klein, groß, dick, dünn, hässlich oder schön ist. Wichtiger ist es ob jemand freundlich, aufgeschlossen, offen oder entgegenkommend ist. Sobald man nach Deutschland zurückkehrt, dann kann man anfangen sich neu zu erfinden.

Eine gute Übung, um den Ratschlag umzusetzen, ist es, einfach mal keine Meinung zu haben. Vergleichen und Kategorisieren sind eine der Hauptfunktionen des Gehirns. Ausschalten kann und sollte man das auch nicht. Was man aber sehr gut kontrollieren kann, ist das, was man ausspricht und mit anderen teilt. Der Vorteil dieser Übung ist das eigene mentale Auseinandersetzen mit einer Kategorisierung. Das gibt einem die Möglichkeit über das, was man gedacht hat und über die unterbewusst durchgeführte Kategorisierung, nachzudenken. Das ist dann die Zeit in der man kurz bewerten kann, ob das Ergebnis der Kategorisierung „gut“ ist. Wie oben bereits beschriebenes ist es jedoch schwer zu sagen, was „gut“ oder „schlecht“ ist. Ein sehr guter Ausweg ist es also keine Meinung zu haben, das heißt das Ergebnis der Kategorisierung einfach links liegen zu lassen. Denn im Grunde stammen viele unserer Kategorien (und mit „unser“ meine ich gerade junge Studenten, die selber noch nicht lange Zeit im Ausland waren) aus unserer Erziehung und unserer Umgebung in Deutschland. Und ein wichtiger und großer Anteil dieser bestehenden Kategorien sind in Edinburgh nicht gültig! Ich selber komme aus dem schwäbischen Ulm, einer reichen Industriestadt im Süden Deutschlands. Edinburgh ist aber eine Kultur- und Wissenschaftsstadt. Meine Kategorien, die ich aus Ulm damals mitgebracht habe, waren schlichtweg unangebracht, um der Schönheit und Vielfältigkeit Edinburghs gerecht zu werden.

Was heißt es also „sich zu finden“? Sich zu finden bedeutet zu verstehen, wie man „tickt“, wie man denkt, wie man seine Umwelt und die wahrgenommene Realität kategorisiert, versteht und interpretiert. Der erste Schritt in diese Richtung ist ein Bewusstsein aufzubauen dafür, dass man als junger Mensch gefangen ist an ein System an Kategorien und Werten je nachdem wo man her kommt. Der nächste Schritt passiert, wenn man wieder nach Deutschland zurückkehrt, wenn man wieder in das alte System kommt. „Sich neu zu erfinden“ heißt dann, das Leben, die Realität in Deutschland mit neuen Kategorien zu betrachten und neu zu erfahren.

Ein heute publizierter Artikel mit dem Titel „Ist schon schlimm!“ auf jetzt.de (sueddeutsche.de) passt traurigerweise in das Schema zu diesem Blog-Eintrag: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/552034/Ist-schon-schlimm. Eine Schulklasse hat auf ihrer Abschlussfeier ein Lied einer Neonazi-Band gespielt. Der gespielte und auch von den Schülern gesungene Song selber hat keine rechtsradikalen Inhalte gehabt, was als Rechtfertigung für die Selektion ausgereicht hat… es ist traurig zu sehen, wie belanglos das Thema Rassismus und Rechtsradikalismus für nicht zu wenige Leute in Deutschland geworden ist.

Die beschriebene facebook Konversation ist hier nachzulesen: Link zu Screenshot.
Über Kommentare und Feedback würde ich mich wie immer freuen.