09 Oktober 2011

Zwischenstand nach zwei Jahren Promotion

Das schoenste an einem Blog ist die Zeitreise-Funktion, die zwangsweise damit aufgebaut wird. Gerade habe ich zwei Jahre zurueckgedreht und meine Erlebnisse des Oktober 2009 nacherlebt. Ohne dass ich es gemerkt habe, hat sich meine Anwesenheit in Edinburgh letzte Woche zum zweiten mal gejaehrt. Erwartungsgemaess hat sich sehr viel getan in der Zeit...

Den groessten Wandel habe ich jedoch erst kuerzlich vollzogen. Seit weniger als zwei Monaten setze ich meinen PhD an der University of Edinburgh fort. Viele rationale Gruende haben zu dem Schritt gefuehrt. Heute bin ich sehr froh, dass es geklappt hat. Zudem verlief er ueberraschend reibungslos, zumindest auf seiten der neuen Uni. Die alte Uni war natuerlich weniger erfreut ueber meine Entscheidung. Die meisten haben meine Entscheidung aber fairerweise nachvollziehen koennen. Ich bin vorallem gluecklich, dass meine beiden Betreuer mir die Entscheidung nicht uebel genommen haben (einer der Gruende war aber auch der Wechsel eines Betreuers an eine andere Uni).
An meine neue Umgebung habe ich mich relativ schnell gewoehnt. Heute sitze ich in einem Raum, der fuer sechs PhD-Studenten vorgesehen ist. Neben einem Gast-Masteranden aus Holland, teile ich den Raum mit zwei Suedkoreanerinnen, einer Britin und einer anderen nicht sehr gespraechigen jungen Dame. Generell sind die raeumlichen Bedingungen traumhaft. Das gesamte Gebaeude wird von Personen bevoelkert, die allein in meinem Forschungsbereich taetig sind. Von oben bis unten trifft man Studenten, Dozenten, Professoren, Gaeste und andere Leute, die aehnliche (Forschungs-)Interessen haben. Das Highlight ist der gemeinsame Aufenthaltsraum, Coffee Room genannt, der auch wirklich fuer regelmaessig stattfindende Gemeinschaftsaktionen genutzt wird. Nach zwei Jahren des Exisitierens in einer aus meiner Sicht und Lage befremdlichen und gewissermassen anonymen Umgebung einer Informatikschule, ist diese offene und durch und durch soziale Umgebung ein Hort des inneren Friedens.
Trotz der Lobeshymne muss ich aber ehrlicherweise eingestehen, dass es nicht ganz so einfach war. Nach zwei-drei Wochen kam ein Gefuehl subtilen Unwohlseins hervor, dessen Ursprung ich nicht ausmachen konnte. Im Nachhinein konnte ich es dann doch einfach zuordnen. Ich habe einen Kulturschock erlebt. Die Eingewoehnung in die neue Umgebung, das Aufbauen neuer Routinen, das Entdecken neuer Wege, das Kennenlernen neuer Leute, das "Ent-lernen" der alten Umgebung, die Entdeckung einer Distanz zu Kollegen und Freunden... all das, andere Veraenderungen und bestehende Probleme, haben mich stark belastet. Nachdem dieser Schock aber ueberwunden und verarbeitet war, konnte ich wieder mit voller Aufmerksamkeit weitermachen. Zur Ueberwindung hat geholfen, dass ich mit Arbeit ueberschuettet wurde.
Seit wenigen Wochen druecke ich wieder die Schulbank. SSK und SEPT sind die Abkuerzungen fuer Sociology for Scientific Knowledge und Social and Economic Perspectives on Technologies sind die beiden Faecher, die ich woechentlich als Gasthoerer besuche (letzteres wird von meinem Betreuer unterrichtet). Die Inhalte beider Faecher sind aus meiner Sicht bombastisch. In den letzten beiden Jahern habe ich mir autodidaktisch das Wissen ueber meinen Bereich angeeignet. Das Resultat war ein Mosaik aus Halbwissen und lueckenhaftem Verstaendnis... ein unbefriedigendes Gefuehl. Die beiden Faecher helfen nun, die Luecken zu schliessen und die epistemolgischen Inseln zu einem ganzen Kontinent zusammenzuschweissen. Nach zwei Jahren gefuehlter Dummheit ist es ein schoenes Gefuehl, Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Natuerlich ist dies ein anderer Zug der ewigen Dummheit, der mir entgegenkommt. Dafuer ist es aber eine ganz spezielle Dummheit, die notwendig ist, um in meinem Fach voranzukommen... sorry fuer die Terminologie der Dummheit, aber ich wollte vermeiden hier anmassende zu behaupten, dass ich es nun endlich voll verstehen wuerde...

Soviel zum aktuellen Stand nach zwei Jahren der Promotion. Es ist Sonntag und ich will noch 'Meaning Finitism' von D. Bloor (1997, aus dem Buch Wittgenstein, Rules & Social Institutions) lesen, deswegen kommt hier ein direkter Cut!